Lektion 29
Lektion XXIX:
Text 1 : Socrates
Socrates, der mütterlicherseits von einer Hebamme und Väterlicherseits von Sophraniscus einem Steinmetz abstammte, wurde nicht nur in der Übereinstimmung aller Menschen sondern auch im Orakel des Apollo für den weisesten Menschen gehalten. Dieser riet den Menschen, dass sie von den unsterblichen Göttern nichts anderes erbitten sollten als das Gute. Von den Göttern nämlich erbitten wir meistens was uns schadet, wärend die Götter wissen was für uns gut und nützlich ist. Denn du Geist wünschst dir viel falsches, weil du von der Dunkelheit des Irrtums und der Unwissenheit umhüllt bist. Du erbittest Reichtum, obwohl er viele verdirbt, du begehrst Ehrenämter, obwohl sie die meisten verderben. Höre also auf dich um dumme und täuschende Dinge zu bemühen. Überlasse dich dem Spruch der Götter. Indem die Götter das Gute auswählen und zuteilen, wirst du zur Tugend gelangen.
Text 2 : Die Verteidigungsrede des Socrates
Was hat mir diesen schlechten Ruf angetan?
Höret, Richter! Ich habe jene Schande empfangen aus keinem anderen Grund
als einer gewissen Weisheit. - Aber was ist diese Weisheit, die mir das Oracel
des Appols zugewiesen hat?
Als das Oracel herausgegeben wurde, dachte ich bei mir:
Ich jedenfalls weiss genau, dass ich nicht weise bin.
Was also hat der Gott mit diesen Worten erklärt?
Schliesslich fing ich an auf diese Art und Weise Untersuchungen über das
Oracel anzustellen:
Ich suchte einen adligen Mann, der allen und vor allem sich selbst weise zu sein
erschien, um zu zeigen:
Dieser Mann ist weiser als ich!
Indem ich diesen betrachtete, fragte und untersuchte - diesen nenne ich nicht; er war
einer von diesen, die zu den Politikern gehören - erkannte ich, dass dieser Mann
jedenfalls weise schien, er es aber nicht war.
Dieses zeigte ich ihm, während mir viele zuhörten.
Daher war nicht nur er, sondern auch viele andere Bürger von Hass erfüllt. Als ich
fortging, dachte ich bei mir: Dieser da glaubt, dass er irgendetwas weiss, obwohl er
nichts weiss.
Ich jedoch - weil ich nichts weiss - glaube, dass ich nichts weiss.
Auf diese Art und Weise suchte ich nach vielen, ob sie etwas wussten.
Schliesslich fragte ich die Handwerker. Denn ich bin überzeugt, dass diese mit grosser
Weisheit Vieles und Schönes herstellen könne, was ich nicht herstellen kann. Aber
jene glaubten, dass sie, weil sie die bewundernswerten Werke herstellten, auch in den
übrigen Sachen die Weisesten seien, was sie nicht waren.